Wir stellen die Handelspolitik auf ein neues Fundament – Einigungsfahrplan für CETA, den Energie-Charta-Vertrag und Mercosur verabschiedet.

Als Berichterstatter im Wirtschaftsausschuss der Grünen Bundestagsfraktion für die Handelspolitik freue ich mich außerordentlich, dass es in umfassenden Verhandlungen gelungen ist, als Ampelkoalition sich darüber zu verständigen, wie wir unsere Handelspolitik in Zukunft ausgestalten wollen: Wir machen Klimaschutz, Sozial- und Umweltstandards endlich genauso verbindlich wie die wirtschaftlichen Aspekte von Handelsabkommen.

Überall sehen wir, wie auf den globalen Märkten Lieferketten stocken oder reißen, wie es zu Engpässen kommt und infolge dessen Preise weiter steigen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine aber auch der Blick nach China führt uns vor Augen, was es bedeutet, zu sehr auf einzelne Handelspartner und Absatzmärkte angewiesen zu sein und sich in gefährliche Abhängigkeiten zu begeben. Gleichzeitig verschärfen sich andere Krisen in ebenso schnellem Tempo: Die Klimakrise ist stärker als je zuvor in Europa angekommen, überall werden Rekordtemperaturen gemessen. Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen sind weltweit weiterhin an der Tagesordnung.

Ausgangspunkt der Debatte war die Frage zur im Raum stehenden Ratifizierung von CETA. Aufgrund der in diesem Abkommen enthaltenen und die demokratischen Handlungsmöglichkeiten einschränkenden Investor-Staat-Schiedsgerichte haben wir Grüne CETA immer kritisch gesehen. Mit der SPD und FPD haben wir uns nun auf ein Vorgehen einigen können, um diese problematischen Aspekte einzuschränken. Wir beauftragen die Bundesregierung im Sinne des Koalitionsvertrags zur Begrenzung der missbräuchlichen Anwendung der materiell-rechtlichen Schutzstandards und zur regulatorischen Kooperation in Gesprächen auf EU-Ebene und mit der kanadischen Regierung über eine Interpretationserklärung des Joint Committee kurzfristig eine Lösung zu finden. Diese Lösung darf den gleichzeitig laufenden Ratifizierungsprozess in der EU nicht stoppen, sondern muss dessen Fortsetzung ermöglichen. Damit bleibt klar: Wir Grüne ratifizieren erst, wenn nachgebessert wurde!

Im Rahmen dieser Verhandlungen war für uns auch immer klar, dass in der derzeitigen globalen Situation ein Nachbessern bei CETA nicht alleine für sich stehen kann sondern nur Eingang in eine größere Reform hin zu einer modernen und nachhaltigeren Handelspolitik sein kann. Wir haben die Gespräche mit den Ampel-Partnern deshalb von Anfang an im größeren Kontext der künftige Handelspolitik und der Reform des sogenannten Energiecharta-Vertrags geführt. Die multiplen Krisen zeigen, dass wir die Handelspolitik insgesamt auf ein neues Fundament stellen müssen, welches auch soziale und ökologische Aspekte zentral berücksichtigt. Mit diesem Anspruch sind wir in die Gespräche gegangen und auch auf diesen Feldern sind wir viele Schritte vorangekommen.

Sanktionierbare Nachhaltigkeitskapitel
Viele Handelsabkommen weisen inzwischen sogenannte Nachhaltigkeitskapitel auf, doch die dort enthaltenen Klimaschutz-, Sozial- und Umweltstandards können nicht eingeklagt werden und bleiben deshalb wirkungslos. Wir haben uns mit SPD und FDP nun darauf geeinigt, dass diese Nachhaltigkeitskapitel in Handelsverträgen in Zukunft auch sanktionierbar sein sollen, die Nichteinhaltung dieser Standards also mit ebenso effektiven Konsequenzen belegt werden kann, wie die Nichteinhaltung der wirtschaftlichen Aspekte. Damit sind Vereinbarungen zu Klimaschutz, Arbeitsstandards und Umweltstandards in Zukunft gleichberechtigter Teil der Handelsabkommen und nicht mehr Standards zweiter Klasse. Wir wollen insbesondere Verstöße gegen das Pariser Klimaabkommen, gegen die zentralen ILO-Arbeitsschutz-Konventionen und gegen das Übereinkommen zur biologischen Vielfalt in letzter Instanz künftig auch die Aussetzung von Handelserleichterungen ermöglichen. Damit ist eine wichtige handelspolitische Positionierung der Ampel und für Deutschland gelungen, die genau zur richtigen Zeit kommt, denn die Chancen diese Verbesserungen auch bald umsetzen zu können stehen gut. Auch die EU-Kommission hat gestern vorgeschlagen, dass Nachhaltigkeitskapitel sanktionierbar sein müssen, um keine zahnloser Tiger zu sein. Mit der heutigen Einigung kann sich Deutschland nun voll hinter den EU-Kurs stellen und mit einer fairen Handelspolitik sogar vorangehen.

Wir bringen demokratische Handlungsmöglichkeiten und Investitionsschutz in eine bessere Balance
Die oft unklaren Definitionen und der viel zu weite Interpretationsspielraum in den Investitionsschutzkapiteln vieler Handelsabkommen bieten Unternehmen ein Einfallstor für ungerechtfertigte Klagen gegen Staaten, selbst wenn diese in demokratischen Prozessen Regeln zum Gesundheits- oder Verbraucherschutz oder Umweltschutz erlassen. Möglich wird das, weil in Investitionsschutzkapiteln meist sehr allgemein ein Anspruch von Investoren auf „billige und gerechte Behandlung“ und der Schutz vor „indirekter Enteignung“ festgehalten sind.

Dem setzen wir mit SPD und FDP nun ein Ende und bringen demokratische Handlungsmöglichkeiten und Investitionsschutz in eine bessere Balance. Zukünftige Investitionsschutzabkommen sollen vor direkter Enteignung schützen und den Standard der Inländergleichbehandlung gewährleisten, das Recht auf gemeinwohlorientierte Regulierung („right to regulate“) aber sicherstellen. 

Damit beenden wir eine Praxis, die den Schutz von Investitionen oft höher stellt, als den Schutz von Umwelt, Verbraucher*innen, Gesundheit und Menschenrechten.

Wir stärken die demokratische Mitgestaltung von Handelsabkommen
Mit SPD und FDP haben wir uns darauf geeinigt, dass Freihandelsabkommen künftig um interinstitutionelle Vereinbarungen ergänzt werden müssen, die eine bessere demokratische Beteiligung sicherstellen. Dazu soll bei substanzverändernden und vertragsauslegenden Fragen durch die Einbindung des europäischen Parlaments die sogenannte regulatorische Kooperation demokratischer gestaltet werden. Bisher war es meist üblich, dass Handelsverträge auch nach Abschluss durch undemokratische Ausschüsse weiterentwickeln werden konnten, ohne dass demokratisch gewählten Parlamente ausreichend eingebunden werden mussten. Das werden wir nun ändern.

Wir setzen uns bei CETA gemeinsam für Nachbesserungen ein
Kanada ist ein Partnerland, das unsere demokratischen Werte teilt und mit dem wir die Chance für Handelsbeziehungen sehen, die auf fairen und nachhaltigen Kriterien basieren. Die in seiner jetzigen Form im CETA-Abkommen beinhalteten Schiedsgerichtsklauseln sehen wir jedoch weiterhin kritisch. In den Verhandlungen mit SPD und FDP konnten wir nun jedoch durchsetzen, dass wir gemeinsam deutliche Nachbesserungen an CETA anstreben werden. Unsere Einigung mit SPD und FDP ist ein Gesamtpaket, das nicht nur die gemeinsame Festlegung auf ein neues Fundament unserer Handelspolitik beinhaltet, sondern auch die Nachbesserung der CETA-Regeln zum Investitionsschutz beinhaltet.

Wir knüpfen die Energiecharta-Reform an den Klimaschutz  
Der seit den 1990er Jahren bestehende Energiechartavertrag sollte die Integration der Energiesektoren in Europa sicherstellen. Statt einer moderne Energiepolitik den Weg zu bereiten, hat er in der Praxis rechtlichen Klagen gegen Umwelt- und Klimagesetzgebung, wie dem Atom- oder Kohleausstieg den Weg bereitet. Damit soll in Zukunft Schluss sein. Diese Fehlsteuerung wollen wir als Ampel beenden. Mit SPD und FDP haben wir uns darauf geeinigt, die kommenden Ergebnisse der aktuell laufen Verhandlungen über eine Reform des Energiechartavertrages kritisch zu prüfen und eine Ausrichtung an den Klimazielen zur Voraussetzung für eine Zustimmung Deutschlands zur Reform zu machen. Auch hier haben wir uns als Ampel darauf verständigt, dass der Investitionsschutz die direkte Enteignung und Inländergleichbehandlung garantiert, aber auch darauf begrenzt bleibt. Wir haben uns zudem darauf verständigt, dass die Sunset Clause, die Klagen gegenüber einem Staat  noch weit nach einem Ausstieg aus dem Vertrag ermöglicht, deutlich verkürzt werden muss.

Sollten diese Punkte durch die Reform nicht abgedeckt sein, wird die Bundesregierung die EU-Kommission auffordern entsprechende Konsequenzen, bis hin zu einem Ausstieg, zu ziehen.

Mercosur nur mit ausreichendem Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz
Im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass eine Ratifizierung des Mercosur-Abkommens nur in Frage kommt, wenn die Partnerländer zuvor umsetzbare und überprüfbare, rechtliche verbindliche Verpflichtungen zum Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz eingegangen sind und durchsetzbare Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen abgeschlossen sind. Dahinter gehen wir nicht zurück. Zusätzlich haben wir in diesem Papier beschlossen, dass die Nachhaltigkeitskapitel einklagbar sein müssen. Nur in diesem Sinne setzen wir uns für die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens ein. Der Schutz von Klima, Regenwäldern und Menschenrechten muss gesichert sein!

Teile der Handelsagenda wurden im Zuge des Austritts aus dem Energiecharta-Vertrag überarbeitet.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 16. November 2022 aktualisiert.

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