Grüne Digitalkonferenz „Nachhaltig by design“

  • Die digitale Transformation birgt großes Potenzial für die Gestaltung eines zukunftsgerichteten Staatswesens, für wissenschaftlichen Fortschritt und gesellschaftlichen Wohlstand. Doch die Reduzierung des wachsenden Energie- und Ressourcenverbrauch bleibt eine große Aufgabe.
  • Mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat die grüne Bundestagsfraktion am 10. März 2023 auf einer hybriden Konferenz über den Handlungsbedarf an der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung debattiert.
  • Wir Grüne im Bundestag engagieren uns für langfristige und tragfähige Strategien, die den Ressourcen- und Energieverbrauch reduzieren. Und wir treiben digitale  Lösungen für den Kampf gegen den globalen Klimawandel voran.

Impressionen von der Konferenz

Die Vorsitzende des Ausschusses für Digitales im Deutschen Bundestag Tabea Rößner begrüßte für die grüne Bundestagsfraktion gemeinsam mit Moderatorin Geraldine de Bastion, Gründerin von Konnektiv, das zahlreiche Publikum im Paul-Löbe-Haus. Anschließend brachte Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, mit ihrer Eröffnungsrede erste wichtige Impulse für die Konferenz aufs Tapet: Denn Klimaschutz und Digitalisierung, so Dröge, sollten zwingend als zusammenhängende Herausforderung betrachtet werden. Sie plädierte hierbei für ein stärkeres umwelt- und klimaschutzpolitisches Verantwortungsbewusstsein in der Gestaltung der digitalen Transformation. Nicht hinwegzudenken seien innovative technische Lösungen etwa bei der Umstellung logistischer Prozessabläufe, der Digitalisierung der Energiewende sowie bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft. Um die Chancen der digitalen Transformation nachhaltig realisieren zu können, sei es dringend geboten, den Energie- und Ressourcenverbrauch digitaler Technologien stärker in den Fokus der politischen Debatte zu rücken.

Digitale Anwendungen sollten nach persönlichen Präferenzen angepasst werden können

In der darauffolgenden Keynote warnte Netzaktivist Cory Doctorow insbesondere vor der potenten Stellung großer IT-Unternehmen: Diese würden zunehmend Entscheidungsmacht über das Verhalten der Verbraucher*innen dadurch übernehmen, wie sie Hardware und Programme gestalten. Derzeit könnten Verbraucher*innen digitale Produkte und Dienstleistungen selten nach eigenen Bedürfnissen konfigurieren oder reparieren – zumindest nicht ohne hierbei gegen vertragliche Verpflichtungen gegenüber der IT-Unternehmen zu verstoßen. In Konsequenz forderte er ein Recht der Verbraucher*innen auf sog. „reverse engineering“: Dieses Instrument erlaubt es, digitale Anwendungen nach persönlichen Präferenzen anpassen zu können. Die digitalpolitischen Entscheidungsträger sehe er nun in der Pflicht, die von kommerziellen Interessen getriebenen Geschäftsmodelle großer IT-Unternehmen auf Nachhaltigkeitsstandards einzuschwören.

Digitalisierung kann die Umsetzung der globalen Klimaziele befördern

Vor diesem Hintergrund ging Professor Dr. Mojib Latif, Klimaforscher und Hochschullehrer, in einer wissenschaftlichen Keynote auf die besondere Herausforderung des zügigen Ausbaus der erneuerbaren Energien ein: Deutschland treffe vor dem Hintergrund der Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen der Vereinten Nationen von 2015 eine besondere politische Verantwortung. Latif betonte eindringlich den hohen Stellenwert des darin vereinbarten 1,5-Grad-Ziels, dessen Tragweite er anhand einer sogenannten „Klimauhr“ zur globalen Erderwärmung veranschaulichte. Angesichts zunehmender kritischer Wetterlagen durch Temperaturextrema, Starkniederschläge und steigendem Meeresspiegel mahnte Latif zu einem ökologischen Umdenken an: Ohne durchgreifende Klimaschutzstrategien drohe dem globalen Ökosystem Erde eine Klimakatastrophe. Die Digitalisierung könne die Umsetzung der globalen Klimaziele befördern, was Latif anhand einer Bandbreite perspektivischer Anwendungsfälle wie zum Beispiel dem Einsatz von Smart Grids und der Implementierung digitaler Zwillinge aufzeigte.

Mit technischen Lösungen ist Einsparpotenzial von bis zu 30 Prozent bei den Treibhausgasemissionen möglich

An diesen wissenschaftlichen Impuls anknüpfend eröffnete der Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Dr. Robert Habeck seine Keynote mit einem unter Klimaschutzaspekten ernüchternden Befund: Wäre das System Internet selbst ein Staat, so der Minister, würde es auf Platz 6 der globalen Emittenten von Treibhausgasen rangieren. Zugleich könne die Digitalisierung aber auch dabei helfen, Treibhausgasemissionen einzusparen – laut Habeck ließe sich in Deutschland durch innovative technische Lösungen sogar ein Einsparpotenzial von bis zu 30 Prozent realisieren. Für die Industrie seien bereits umweltpolitisch durchschlagende Anwendungsfälle auf der Basis künstlicher Intelligenz identifiziert worden wie zum Beispiel beim Einsatz digitaler Zwillinge in der Automobilfertigung. Die regulatorischen Leitplanken für die digitale Transformation in der Industrie seien im politischen Willensbildungsprozess zu errichten: Für die konkrete Umsetzung nachhaltigkeitsbezogener Zielstellungen stünden indes die Stakeholder aus der Wirtschaft in der Verantwortung – gleich ob Start-up oder industrielles Großunternehmen.

Mit Verbraucher*innendialog Bewusstsein für nachhaltige Digitalisierung schaffen

Im anschließenden Streitgespräch unter der Moderation von Tabea Rößner debattierten die Diskutant*innen Dr. Marcel Dorsch, Umweltbundesamt, Christine Regitz, Vice President von SAP, und Felix Sühlmann-Faul, Techniksoziologe, strategische Handlungsempfehlungen in Sachen nachhaltiger Digitalisierung. Aus Sicht von Sühlmann-Faul gehe mit einer zunehmenden Nachfrage an innovativer Technologie die gesteigerte Verantwortung einher, Fragestellungen des Datenschutzes und der Datensouveränität stärker zu adressieren. Ein Umdenken in Richtung nachhaltiger Digitalisierung setze zudem einen breit angelegten Verbraucher*innendialog voraus, um ein Bewusstsein für niedrigschwellige Handlungsmöglichkeiten eines umweltfreundlichen Alltags zu schaffen. Zugleich bedürfe es aber auch politischer Rahmenbedingungen, so Dorsch, um die digitalpolitische Agenda stärker am Zielverständnis nachhaltigen Konsums zugunsten der Erhaltung der ökologischen Lebensgrundlagen auszurichten. Außerdem müssten auch soziale Kriterien einer nachhaltigen Digitalisierung auf internationaler Ebene, zum Beispiel in Entwicklungskooperationen, stärker Nachhall finden. Zahlreiche Unternehmen, so die Perspektive von Regitz, seien sich ihrer sozialen Verantwortung bei der Ausgestaltung zukunftsfähiger Wirtschaftsweisen bewusst. Die Digitalisierung stelle insofern einen starken Hebel für mehr Nachhaltigkeit dar: So könnten zum Beispiel Anwendungen künstlicher Intelligenz Logistikunternehmen unterstützen, Lagerbestände energie- und ressourceneffizient nachzuhalten.

An das Streitgespräch anknüpfend erhielt das Publikum die Möglichkeit, eigene Fragestellungen an die Panelist*innen zu richten. Mit den aus der gemeinsamen Diskussion gewonnenen Eindrücken starteten die Teilnehmer*innen in zwei aufeinanderfolgende Workshopphasen: In jeweils fünf parallel stattfindenden Workshops zu den unterschiedlichen Schlüsselfaktoren nachhaltiger Digitalisierung konnten sie in Austausch mit Abgeordneten und Fachreferent*innen treten, um energie- und ressourcenpolitische Aufgaben für die parlamentarische Arbeit der Bundestagsfraktion zu erörtern.

Mein Workshop: Nachhaltige Rechenzentren: Welche Chancen und Herausforderungen bestehen im Maschinenraum der Digitalisierung?

Zusammen mit Dr. Anne Mollen, AlgorithmWatch, und Dr. Ulrike Kugler, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, befasste sich Maik Außendorf mit dem Bau nachhaltiger Rechenzentren in Deutschland.

Das Energieeffizienzgesetz, das demnächst im Bundeskabinett behandelt werden soll, wird hierfür den gesetzlichen Rahmen bilden. Dr. Mollen unterstrich die möglichen (negativen) gesellschaftlichen Auswirkungen des stetigen Ausbaus neuer Rechenzentren, vor allem für die lokale Bevölkerung. Zudem wurde auf den nötigen Ressourcenverbrauch bei der Fertigung von Rechenzentren verwiesen, wie auch auf den Energieverbrauch der Software, die rund um die Uhr auf den Servern der Rechenzentren läuft. Der Gedanke der Suffizienz der Rechenleistung, wie auch das Schaffen nachhaltiger Software (GreenIT) wurde hierbei als wichtiges Element genannt.

Dr. Kugler legte einen Fokus auf die vielzähligen Projekte die das Land Baden-Württemberg als Teil der Landesstrategie „Green IT“ zurzeit implementiert, um eine nachhaltige Digitalisierung zu gewährleisten. Diese beinhaltet unter anderem die Etablierung von Managementsystemen, Rollen und Prozessen, dem einheitlichen Mess-/Berichtswesen von Kennzahlen, wie auch eine Richtlinie für nachhaltige IT-Architekturen.

In der anschließenden Diskussion wurde von allen Seiten die wichtige Rolle von Rechenzentren in der Digitalisierung bekräftigt. Sie dienen als Rückgrat aller digitalen Prozesse und werden auch in Zukunft essenziell für die technologische Wertschöpfung in Deutschland und die Wahrung unserer digitalen Souveränität sein. Auch sind die wirtschaftlichen Interessen kleiner und mittelständischer Rechenzentrenbetreiber zu berücksichtigen, um auch zukünftig für Ansiedlungen attraktiv zu sein.

Gleichzeitig haben die Teilnehmer*innen darauf verwiesen, dass technologischer Fortschritt, in diesem Fall die Entwicklung neuer Rechenzentren, auch dem Gemeinwohl dienen müsse. Konkret heißt dies unter anderem, dass die Transparenz des Energieverbrauchs von Rechenzentren erhöht, die legitimen Interessen von Anwohner*innen durch ganzheitliche Städteplanung berücksichtigt, und der gesellschaftliche Mehrwert – zum Beispiel durch Abwärmenutzung – sichergestellt werden muss. Dafür muss die nötige Infrastruktur geschaffen werden: Eine verpflichtende Wärmebedarfsplanung für Kommunen wie in Baden-Württemberg kann hier als Vorbild dienen.

Digitalisierung ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Nach der Workshopphase griff der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Dr. Konstantin von Notz, in einem Impulsvortrag die gerechtigkeitspolitische Relevanz des Konferenzthemas auf. Von Notz machte zunächst auf die zunehmende Gestaltungshoheit potenter Akteure aufmerksam, die das Internet als Plattform für propagandistische oder kommerzielle Interessen ausnutzen könnten. Eine nachhaltige Digitalisierung sei daher nicht nur eine ökologische, sondern vielmehr auch eine wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Digitalpolitischen Entscheidungsträgern müsse dabei der hohe Stellenwert einer offenen und transparenten Ausgestaltung von IT-Systemen, offener Schnittstellen, tragfähiger Open-Data-Konzepte sowie des Digitalisierungsprozesses der öffentlichen Verwaltung bewusst sein. Insofern bedürfe es besonders auch politischen Steuerungswillens, um den Umsetzungsstand der im Koalitionsvertrag vereinbarten digitalpolitischen Vorhaben fortlaufend kritisch bewerten und bestehenden Nachbesserungsbedarf identifizieren zu können.

Digitale Transformation gemeinwohlorientiert ausgestalten

Im darauffolgenden Videoimpuls der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz Steffi Lemke stand insbesondere die Herausforderung im Vordergrund, wie sich die digitale Transformation gemeinwohlorientiert ausgestalten lässt. Digitale Lösungen ließen sich einerseits zugunsten des Umweltschutzes implementieren: Auf der Grundlage qualitativ hochwertiger Umweltdaten könnten innovative Lösungen etwa dazu beitragen, passgenaue umweltpolitische Maßnahmen zu entwickeln wie zum Beispiel beim Schutz besonders sensibler Ökosysteme wie Moore und Auen. Andererseits sei der mit dem digitalen Wandel verbundene Fortschritt auch stärker in den Dienst des Verbraucher*innenschutzes zu stellen: Aktuell bestehe noch Handlungsbedarf im Bereich intransparenter Datenverarbeitung und ungleicher Machtstrukturen im digitalen Raum. Vor diesem Hintergrund appellierte die Ministerin an eine stärkere zivilgesellschaftliche Mitgestaltung an einem Diskurs, der Digitalisierung problematisiere, zugleich jedoch auch als Teil der Lösung begreife.

Ressourcen- und Energieverbrauch digitaler Produkte effizienter gestalten

Das Abschlusspanel mit Alexandra Geese, Mitglied des Europäischen Parlaments, der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner und der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Christiane Rohleder, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, sowie die anschließende Fragerunde aus dem Publikum moderierte Maik Außendorf. Mit Blick auf den hohen Ressourcen- und Energieverbrauch digitaler Produkte plädierte Rohleder hierbei für eine maßvolle Steuerung der Nachfrage nach digitalen Gütern: Der Grundstein hierfür sei eine Abkehr von unnachhaltigen Geschäftsmodellen insbesondere im E-Commerce mit Waren und Dienstleistungen. Vor diesem Hintergrund unterstrich Geese auch den hohen Stellenwert des Schutzes der Privatsphäre im datengetriebenen Onlinehandel. Zugleich gehöre zu einer ökologisch verantwortungsvollen Hardwarenutzung auch das Bewusstsein, dass bereits in der vorgeschalteten, umweltfreundlichen Softwaregestaltung der Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit liege. Entsprechende Anreize für ein datensparsames und zugleich nachhaltiges Verhalten der Verbraucher*innen „by default“, so Brantner, könne zum Beispiel ein Energieeffizienzlabel für Software setzen. Großes Potenzial sehe sie auch bei der energieeffizienten Ausgestaltung von Rechenzentren – insbesondere für Kommunen eröffneten digitale Monitoring-Verfahren vielversprechende Perspektiven, um Konzepte zur Abwärmenutzung zu entwickeln.

Den gesamten Bericht zur Konferenz inklusive aller Workshops gibt es hier.

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