Stakeholderdialog Digitalisierung & Nachhaltigkeit: Standardisierung und Normen 1. Februar 202314. März 2023 Am 24. Januar fand der dritte Stakeholder-Dialog aus der Reihe Digitalisierung & Nachhaltigkeit unter der Leitung von Maik Außendorf, Digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen statt. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert: Welche Rolle spielen Standards und Zertifizierung bei der nachhaltigen Digitalisierung? Welche Standards und Zertifizierungen existieren schon, welche müssen noch folgen? Welche Regeln und Nachhaltigkeitskriterien für grüne IT müssen in Deutschland und auf europäischer Ebene gelten? Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit: Status quo als Herausforderung Grundsätzliche Herausforderung im Bereich der Standardisierung und Normierung ist der auf Selbstverpflichtung ausgerichtete gesetzliche Rahmen. Es bedarf einer ganzheitlichen Grundlage, die Rechtssicherheit und gleichberechtigte technische Anforderungen für alle voraussetzt. Aus diesem Grund wird vor allem auf EU-Ebene zurzeit intensiv daran gearbeitet, Regulierungen und Standards auf den Weg zu bringen: Diese sollen Grundanforderungen an Qualität und Sicherheit digitaler Produkte und Dienstleistungen definieren und eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen. Hier muss aus parlamentarischer Sicht aktiv auf den Prozess Einfluss genommen werden, um Nachhaltigkeitsziele einzubeziehen und umzusetzen. Auch eine Prüfung durch unabhängige Dritte sollte dabei mitgedacht werden. Denn diese sichert die Konformität, stärkt das Vertrauen (bspw. durch die Vorbeugung von Greenwashing) und entlastet die Verwaltung. Zugleich würde damit der Grundstein für eine nachhaltige Digitalisierung „Made in Europe“ gelegt. Nachhaltigkeit und digitale Standards Bei Nachhaltigkeitsanforderungen digitaler Standards ist der politische Hebel groß. So gibt es im Bereich des nachhaltigen Programmierens gute Ansätze wie zum Beispiel das Siegel „Blauer Engel“. Es gibt jedoch keinen Leitfaden, der Nachhaltigkeitsstandards für den Entwicklungsprozess von Software vereinheitlicht. Klar definierte Nachhaltigkeitskriterien könnten hierzu beitragen. Diese lassen sich in folgende Themengebiete gliedern: Im Energieverbrauch existieren keine rechtlichen Anforderungen an die Energieeffizienz von Software. Dabei hat diese einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch. Selbiges gilt für die Treibhausgasemissionen. Hier könnten Tools, die aktuell die benötigten Kapazitäten eines Codes in Bezug auf Rechenzeit kalkulieren, bspw. durch abgeleitete Berechnung von CO2-Fußabdrücken, weiterentwickelt werden. Im Bereich Ressourcenverbrauch geht es darum, Digitalisierung nachhaltig zu gestalten. Hierzu könnte B. die Entwicklung einer Metrik beitragen, um den Ressourcen- und Energieverbrauch künstlicher Intelligenz aufzuzeigen. Der nächste Schritt betrifft dessen Optimierung: So lassen sich durch eine ganzheitliche Messung der Leistung und ökologischen Effizienz digitaler Lösungen Defizite, aber auch Potenziale ermitteln. Abschließend sollte die nachhaltige Anwendung als ein weiteres Themengebiet in die Betrachtung eingehen. Davon umfasst ist die Optimierung von Produktions-, Geschäfts- und Verwaltungsprozessen. Denn die Digitalisierung in der ökologischen Transformation soll nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance darstellen. Politisch relevant ist neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch die soziale und ökonomische Nachhaltigkeit: Wir wollen Standards zu sozialen Kriterien sowie das Thema digitaler Menschenrechte zum Gegenstand der aktuellen Debatte machen. Positionierung im internationalen Wettbewerb Für die Ausrichtung im internationalen Wettbewerb bedarf es einer klaren Strategie. Es stellt sich die Frage, wo wir im internationalen Vergleich beim Thema Nachhaltigkeit stehen. In Bezug auf das Nachhaltigkeitsbewusstsein nehmen wir eine Vorreiterrolle ein. Dies stellt ein Qualitätsmerkmal digitaler Lösungen dar. Gerade aber bei den Themen künstliche Intelligenz und der Standardisierung und Normierung von Informationstechnologie treten aber auch andere staatliche Akteure, wie z. B. China und die USA, ins Rampenlicht. Hier ist es wichtig, auf deutscher und europäischer Ebene diesen Wandel frühzeitig mitzugestalten. Denn: Eine gute Normierung und Regulierung auf europäischer und internationaler Ebene ist für den freien und fairen Warenverkehr wichtig. Bestimmte Standards bestehen hier schon (z.B. blauer Engel, EMAS, PEF, ISO/IEC TS 5471 AI). Diese sollten wir überarbeiten und um europäische und internationale Standards ergänzen. Besetzung der Normungsgremien Normungsgremien mit Vertreter*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft müssen ausgeglichen besetzt sein, um vor allem ökologische und soziale Nachhaltigkeitsstandards in die Normung mit einfließen zu lassen. Aktuell findet die Zusammensetzung der Normungsgremien nicht demokratisch statt. Überwiegend werden diese von Unternehmen, vor allem von großen Industrieunternehmen entsprechend ihren Ressourcen, besetzt. Gemeinsam mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft muss die Teilnahme dieser Akteure in den relevanten Normungsgremien gefördert werden. Technische Normen, aber auch gesellschaftliche und Menschrechtsstandards sollten von einer interdisziplinären Gruppe entwickelt werden – der Prozess darf nicht allein der Industrie überlassen sein. Verpflichtende Vorgaben für eine ausgewogene Besetzung könnten den demokratischen Leitgedanken der Normgebung stärken. Denn Normen sind schließlich eine wichtige Grundlage für die Gesetzgebung und entfalten dadurch eine Wirkung für die gesamte Gesellschaft. Anders formuliert – es ist sinnvoll, „Standards für die Standardisierung“ zu entwickeln. Bei der Entwicklung von Normen ist zudem zu bedenken, dass diese für die Unternehmen Kosten verursachen, da sie hierfür Expert*innen in Gremien schicken und die neuen Anforderungen auch umsetzen müssen. Wie hoch diese Kosten für die Unternehmen ausfallen, hängt von der Unternehmensgröße ab. Kleine und mittelständige Unternehmen sollten durch Förderprogramme unterstützt werden. Zudem ist bei der Gestaltung der Regulierung zu beachten, wie diese von allen Akteuren getragen werden können, ohne Wettbewerbschancen zu verschieben. Wir wollen die Frage der Normung deshalb aus horizontale Perspektive betrachten und angehen. Öffentliche Bereitstellung digitaler Infrastruktur Ein weiterer Gegenpol zu den (durch die Industrie) ungleich besetzten Normungsgremien stellt die Möglichkeit dar, digitale Infrastruktur, wie z.B. digitale Plattformen im Bildungs- und Gesundheitsbereich oder aber auch soziale Netzwerke, öffentlich bereitzustellen. Dies bedeutete geringere Kosten für die Privatwirtschaft und zugleich auch die Möglichkeit, Aspekte der Nachhaltigkeit zu fördern. Aktuell bewegen wir uns in einer digitalen Infrastruktur, die von privaten, oft im Ausland ansässigen, Firmen errichtet wurde: Eine zumindest in Teilen öffentliche Bereitstellung könnte bedeuten, dass der Staat zugunsten aller Beteiligten mehr Einflussmöglichkeiten hätte. Deshalb sollte man über die Perspektiven nachdenken, sowohl private als auch öffentliche Initiativen zu fördern, die digitale Infrastruktur bereitstellen. Der Bundesrechnungshof sollte dieses Kriterium zudem in seinen Analysen berücksichtigen. Standardisierung und Suffizienz In den vergangenen Jahren war vor allem im Bereich der Digitalisierung eine zunehmende Effizienzsteigerung zu beobachten. Beispielhaft hierfür ist die global zunehmende Leistungsstärke und Schnelligkeit von Hardware, oder die regionale Einführung des Mobilfunkstandards 6G in Japan. Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass sich dadurch Energie- und Ressourcenverbrauch nicht deckeln lassen. So wurde die zunehmende Effizienz von Hardware durch immer anspruchsvollere Software „aufgefressen“. In Japan hat die Einführung von 6G durch eine Steigerung der Nachfrage auch den Energieverbrauch befördert. Das Stichwort hierbei lautet „rebound effect“ (Bumerangeffekt). Die Debatte über Suffizienz muss in den Fokus der politischen Debatte gerückt werden. Denn immer mehr Wachstum und der alleinige Fokus auf Effizienzsteigerung bergen nur geringe Hoffnung für eine nachhaltige Transformation. In diesem Zusammenhang rücken auch die Themen open data und Datensparsamkeit in den Blickpunkt. Höhere Transparenz für die Endkonsument*innen Dem Problem des rebound effects kann man auch noch auf eine andere Weise begegnen: über mehr Transparenz bei Clouds, Software und Rechenzentren. Den Endkonsument*innen z.B. ökologische Fußabdrücke aufzuzeigen, kann ein klares Bild des eigenen digitalen Verbrauchsverhaltens ermöglichen. Verbraucher*innen haben hier momentan keine einheitlichen und übersichtlichen Informationsmöglichkeiten. Denn selbst bestehende Lösungen wie der „Blaue Engel“ bei Software werden unzureichend umgesetzt. Aber auch über offengelegte Klimadaten kann Missbrauch verhindert werden. Gleichzeitig setzt es die Industrie unter Druck: Sie müssen ihre Position im Markt in einem gesteigerten Wettbewerb sichern, indem sie nicht nur innovative, sondern auch nachhaltige Lösungen aufzeigen. Auch hier bedarf es der Prüfung durch unabhängige Dritte: Dadurch lässt sich das Vertrauen in veröffentlichte Daten sichern und die Risiken minimieren, dass sich Unternehmen zu Unrecht ein „grünes Image“ erschleichen. Zugleich lassen sich hierdurch die Aufsichtsbehörden entlasten.