Wie werden wir unabhängig von russischer Energie? – Maik Außendorf und Ingrid Nestle im Gespräch zur Energiesicherheit

Vergangenen Mittwoch sprachen Maik Außendorf, Bundestagsabgeordneter aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis und Mitglied im Wirtschaftsausschuss, und Ingrid Nestle, Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Klimaschutz und Energie, im Rahmen einer Online-Diskussion über Energiesicherheit, genauer: über Energiepolitik und Versorgungssicherheit in Zeiten des Krieges und wie wir unabhängig von russischer Energie werden können. Außendorf und Nestle berichteten über die aktuelle Situation und beantworteten im Anschluss Fragen der Teilnehmenden. Diskutiert wurde über die Aktivierung der Frühwarnstufe 1 des Notfallplans Gas, das Tempolimit, Habecks Vereinbarungen mit Katar und ein mögliches Gasembargo. Die Meinungen, wie am besten auf die aktuellen Entwicklungen zu reagieren sei, gingen teils auseinander, gerade weil das Verhalten von Putin immer noch schwer einzuschätzen ist.

Zu Beginn des Gesprächs erläuterten Außendorf und Nestle die aktuelle Situation. Nestle ging zunächst auf die Bedeutung des Ausrufs der Frühwarnstufe 1 des Notfallplans Gas ein. Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme angesichts eines möglichen Versorgungsengpasses in Zukunft, nicht um die Reaktion auf eine akute Mangelsituation. Wichtig sei, dass nun schnell Maßnahmen ergriffen werden, um dem Schlimmsten vorzubeugen. Mögliche technische Maßnahmen zur Einsparung von Gas seien beispielsweise die verstärkte Dämmung von Häusern sowie die Umstellung von Heizungen. Sie plädierte außerdem eindringlich an alle Bürger*innen, möglichst viel Energie zu sparen, durch so einfache Maßnahmen wie das Verzichten auf Trockner, die Heizungen etwas herunter drehen oder das Fahrrad statt des Autos benutzen. Hier betonte sie vor allem die Verantwortung der Besserverdienenden, die die Flexibilität haben, Energie einzusparen, während Geringverdienende oft schon aus dem finanziellen Zwang heraus deutlich weniger Energie verbrauchen und gar kein Einsparpotenzial mehr haben. Nestle fordert deshalb ein Zusammenhalten der Gesellschaft, starke Energieeinsparungen aus der Bevölkerung heraus können so einen wichtigen Beitrag zur Energieunabhängigkeit leisten.

Daran anknüpfend ging Außendorf genauer auf die Bedeutung der verschiedenen Hauptenergieträger Kohle, Öl und Gas für bestimmte Bereiche ein. Beispielsweise werde das russische Öl in Deutschland raffiniert und zu Kraftstoffen verarbeitet, während Kohle wichtig für die deutsche Energieproduktion und Industrie sei. Grundprodukte, deren Herstellung dann nicht mehr möglich wäre, könnten in einem vernetzten Wirtschaftssystem zu einem Kaskadenversagen führen. Beispielsweise könnte durch den Ausfall eines Grundproduktes die Herstellung eines Zwischenproduktes nicht möglich sein, dies führt zu einem Stillstand bei der Endproduktion, weswegen die terminierte Lieferung anderer Zwischenprodukte storniert wird. Ein darauf möglicher Konkurs eines Herstellers von Grund- oder Zwischenprodukten könnte zum Ausfall ganzer Zweige der Wirtschaft führen. Die Gefahr, die von solchen Kettenreaktionen ausgeht, sei aufgrund der Komplexität noch nicht abzuschätzen.

Außendorf betonte ebenfalls, dass das größte Potential, die Industrie zu schützen und weniger Energie aus Russland zu beziehen, in der aktiven Mithilfe der Bevölkerung liegen würde. Maßnahmen würden durch äußeren Druck, d.h. durch einen Lieferstopp der Energieträger von Seiten Russlands, meist eher akzeptiert. Ein sofortiges Embargo dagegen könne sich dagegen negativ auf die Motivation der Bevölkerung auswirken, Energie einzusparen. Dabei sei es gerade jetzt sehr wichtig, dass die Bürger*innen Verantwortung zeigen und Energie sparen.

Anschließend an diesen Überblick gingen die beiden Bundestagsabgeordneten auf Fragen der Teilnehmenden ein.

Es wurde einige Fragen zu der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen gestellt. Die Holzfeuerung als Alternative zur Gasheizung bewertete Außendorf kritisch. Oft wird dafür viel Holz importiert, obwohl eine Beheizung mit Holz eigentlich nur mit Holzabfällen vertretbar ist, außerdem entsteht bei der Verbrennung viel Feinstaub. Auch das vieldiskutierte Thema Tempolimit wurde angesprochen. Außendorf ist Befürworter der Maßnahme, schätzt den Einspareffekt allerdings im Vergleich zu anderen Maßnahmen als recht gering ein. Allerdings wären auch massivere Einschränkungen wie Pro-Kopf Kontingente umstritten, da sie vor allem denen dienen würden, die noch nicht gespart haben, und außerdem unter Datenschutzaspekten kritisch zu bewerten sind.
 
 Zudem kam die Frage nach den geplanten Oster- und Sommerpaketen auf. Nestle gab einen kurzen Überblick über die geplanten Maßnahmen, die in den nächsten Tagen und Wochen vermutlich noch konkretisiert werden können. Unter anderem seien Planungen des beschleunigten Ausbaus von Offshore-Windkraft und Stromleitungen sowie ein neuer Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes enthalten.

Auch die Gespräche von Wirtschaftsminister Habeck in Katar mit dem Ergebnis einer langfristigen Energiepartnerschaft sind umstritten. Außendorf erläuterte diesbezüglich, dass es dem Wirtschaftsminister nicht leicht gefallen sei, diese Entscheidung zu treffen, das Vorgehen allerdings die weniger schlechte Alternative darstelle, um Energiesicherheit zu garantieren. Nestle ergänzte, dass dieser schwierige Schritt durch frühzeitige und schnellere Maßnahmen auf dem Weg zur Energiesouveränität verhindert hätte werden können, das wurde jedoch durch die Vorgängerregierung versäumt.

Generell sei das Potenzial auf dem Weltmarkt, schnell mehr Gas zu erhalten,gering. Anderen Staaten Gas „wegzukaufen“ sei keine vertretbare Lösung. Nur wenn andere Länder auf andere Brennstoffe umsteigen, könne auch ein Mehreinkauf auf dem Weltmarkt erfolgen. Dementsprechend würden auch andere Maßnahmen weiterverfolgt, wie die Fertigstellung eines Ammoniak-Terminals, das ab 2024 zum besseren Transport von grünem Wasserstoff beitragen kann.

Einige Stimmen forderten, als Druckmittel zumindest kurzfristig die Gaslieferung aus Russland auszusetzen. Außendorf ist der Meinung, dass ein solches Embargo nicht durchzuhalten sei und zitierte Außenministerin Baerbock: „Wenn wir der Meinung wären, dass wir mit einem Gasembargo den Krieg beenden könnten, würden wir das auch tun.“ Die Wirkung sei sehr schwer einzuschätzen.

Wichtig ist natürlich gerade jetzt, dass die Bürger*innen verlässlich und ausführlich über die Möglichkeiten, Energie zu sparen informiert sind. Nestle betonte, dass es heute nicht mehr „ums Lichtausmachen“, sondern um andere, sehr viel effektivere Maßnahmen gehe. Geplant sei deshalb auch eine Kampagne zu effizientenEnergiesparmaßnahmen.

Wenn sie weitere Fragen an Maik Außendorf zum Thema Energiesicherheit oder zur Ukraine haben, besuchen Sie gerne die Bürger*innen-Sprechstunde oder schreiben sie eine Mail an maik.aussendorf.wk@bundestag.de.

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