Stakeholderdialog Digitalisierung & Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeit in der Außenpolitik

Am 7. Februar 2023 fand der vierte Stakeholder-Dialog aus der Reihe Digitalisierung & Nachhaltigkeit unter der Leitung von Maik Außendorf, Digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Tobias Bacherle, Mitglied in den Ausschüssen für Digitales und Äußeres, statt. Den Themenschwerpunkt bildete dieses Mal die Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Außenpolitik. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert:

  • Wo steht die internationale Zusammenarbeit aktuell bei diesem Thema?
  • Welche Hebel auf der internationalen Ebene gibt es für Digitalisierung und Nachhaltigkeit?
  • In welchen Gremien kann das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit eingespeist werden? Wie können internationale Allianzen geformt werden?

Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit:

Werteorientierte Digitalpolitik

Deutschland und die Europäische Union müssen sich international für eine nachhaltige Digitalisierung einsetzen. Eine holistische internationale Digitalpolitik befasst sich neben Feldern wie dem Aufbau digitaler Infrastruktur im globalen Süden, der Besetzung internationaler Normungsgremien oder dem Schutz der Menschenrechte und der Demokratie im digitalen Raum auch mit einem auf Nachhaltigkeit gerichteten globalen digitalen Ökosystem.

Fakt ist, dass die Digitalisierung enorme CO2 Emissionen verursacht und Energie verbraucht und damit einen direkten Einfluss auf den Klimawandel hat. Zusätzlich zur ökonomischen und ökologischen Dimension von Nachhaltigkeit müssen darüber hinaus auch soziale und gesellschaftliche Komponenten Einzug finden in unsere internationale Digitalpolitik.

All diese Aspekte lassen sich unter dem Anliegen einer werteorientieren Digitalpolitik zusammenfassen, im Rahmen derer sich Europa und Deutschland zukunftsfähig nach außen hin aufstellt und sich gleichzeitig  von anderen Vorgehensweisen, wie der Chinas, abgrenzt. 

Multiperspektivische Ausgestaltung 

Um vernünftige Ansätze und Vorgehensweisen zu einer werteorientieren Digitalpolitik zu generieren ist es geboten, möglichst viele Akteure an dem Verhandlungs- und Ausarbeitungsprozess teilhaben zu lassen. Auf nationaler Ebene bedeutet dies zunächst die Einbindung aller relevanten Ministerien und des Parlamentes. Sowohl auf ministerieller wie auch parlamentarischer Ebene muss hierfür jedoch auch das Know-How entwickelt werden, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenzudenken.

Die anstehende internationale Digitalstrategie der Bundesregierung muss eng mit dem Parlament abgestimmt werden. Da das Spannungsfeld von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Außenpolitik auch eine geopolitische Komponente hat, gilt es zudem in enger Kooperation mit EU-Mitgliedsstaaten vorzugehen und die europäische digitale Souveränität als Bollwerk zwischen den digitalen Mächten China und USA zu wahren.

Auch auf internationaler Ebene ist die Einbindung der Zivilgesellschaft unabdingbar. Ansätze hierfür sind das Bildungsprojekt DIAL, das Projekt Fairwork zur Identifizierung fairer Arbeitsplätze in der Plattformökonomie oder auch Innovationshubs in Afrika, die in enger Kooperation mit der internationalen und lokalen Zivilgesellschaft arbeiten, das Global Innovation Gathering, ein Start-Up Accelerator oder auch das Datalab aus Brasilien, das sich für Datenhoheit der Einwohner*innen in Brasiliens Favelas einsetzt.

Abschließend geht es bei einer multiperspektivischen Gestaltung der internationalen Digitalpolitik auch um die Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf Augenhöhe. Die Einbindung verschiedener Perspektiven darf daher nicht in der einseitigen Vorgabe von Handlungsoptionen münden, sondern bestenfalls einen Prozess des Austauschs mit gegenseitigem Erkenntnisgewinn anregen. Das Stichwort hier lautet Reziprozität. 

Transformative Netzwerke aufbauen

Aktuell findet Entwicklungszusammenarbeit häufig bilateral zwischen Regierungen statt. Tatsächlich entsteht digitale Transformation jedoch oft in kleineren Organisationen und auf der lokalen Ebene. Es bedarf daher des Aufbaus und der Unterstützung neuer Netzwerkstrukturen, um die Verbindung zwischen der Entwicklungszusammenarbeit auf Regierungsebene und dem Ort der tatsächlichen digitalen Transformation herzustellen.

So könnte das BMZ Netzwerk hilfreich sein, das nach diesem Prinzip die Zusammenarbeit zwischen Staat, NGOs und Zivilgesellschaft in Partnerländern ermöglicht. Weitere Möglichkeiten stellen die Coalition for Digital Environmental Sustainability (CODES) und der Global Digital Compact (GDC) dar, zwei globale Netzwerke, die sich über einen gestärkten Multilateralismus für einer beschleunigte Bewältigung künftiger Herausforderungen einsetzt. Speziell CODES stellt dabei den Versuch dar, den Link zwischen Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsprojekten herzustellen, der bei vielen Initiativen wie den SDGs und der Roadmap for Digital Cooperation noch fehlt.

Vorreiterrolle wahrnehmen

Deutschland und die Europäische Union sollten, ähnlich wie bei Umsetzung der DSGVO, als „Norm-Setter“ im Bereich der internationalen Digitalpolitik agieren. Aktuell wird zu wenig über nachhaltige Digitalisierung gesprochen, ein politisches Vakuum, das es zu füllen gilt. So könnten die dargestellten Projekte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, die auf eine nachhaltige Digitalisierung zugeschnitten sind, eine Vorbildfunktion einnehmen, die den Weg in pluralistische und demokratische digitale Ökosysteme erlaubt.

Konkret könnte dies zu einer Positionierung führen, die für einen offenen Zugang zu Wissensressourcen und für digitale Souveränität wirbt. Auch im Bereich der ethischen KI könnte auf bestehende Ansätze der UNESCO KI Ethik, die einen spannenden Versuch der Konkretisierung abstrakter Vorstellungen vornimmt, zurückgegriffen werden, um sich in sehr konkreter Weise zukunftsfähig aufzustellen. Im Rahmen dieses Prozesses liegt es an Deutschland, inhaltlich, personell und monetär in der Gestaltung zu partizipieren und somit eigene politische Positionen einzubringen und durch Regularien, wie DSGVO und KVIO, positive Effekte auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

Sinnbildlich hierfür ist, dass in den Sustainable Development Goals 2030 die digitale Transformation nicht ausreichend berücksichtigt wird. Diese Lücke kann durch ein aktives Eintreten für nachhaltige und werteorientierte Digitalpolitik auf internationaler Ebene durch Deutschland und die EU gefüllt werden.

Ökonomische Dimension der Digitalisierung 

Die ökonomische Dimension der Digitalisierung spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle für die politische Arbeit (z. B. in der Handelspolitik, der Rohstoffstrategie, oder in der Erschaffung resilienter Lieferketten) und muss daher auch in einer internationalen Digitalpolitik berücksichtigt werden. Gleichzeitig nutzt vor allem China digitale Technologien als Hebel um die Präsenz im globalen Süden zu erweitern, oft zum langfristigen finanziellen Nachteil der Partnerländer.

Aus geopolitischer Sicht geht es hier um nicht weniger als den digitalen Wettlauf um die globale Vorherrschaft. Projekte mit sehr großen Investitionsvolumen, wie das chinesische Infrastrukturprojekt Belt and Road Initiative, werden maßgeblich über die zukünftige wirtschaftliche und geopolitische Vorherrschaft entscheiden. Hinzu kommen große privatwirtschaftliche Player, wie die amerikanischen Tech-Konzerne, die über ihre Marktmacht auf staatliche Prozesse und bei der Entwicklung von Regulierungen und Standards großen Einfluss nehmen.

Deutschland und die EU müssen hier als glaubwürdige Partner und Alternativen zu China oder amerikanischen Tech-Konzernen auftreten. Auch wenn die deutsche Entwicklungspolitik sehr gute Arbeit leistet, wurde diese Rolle gerade in Bezug auf digitalpolitische Themen in den letzten Jahren vernachlässigt. Das Zusammenspiel zwischen wirtschaftspolitischem, außenpolitischem und entwicklungspolitischem Agieren ist hier entscheidend: aktuell entsteht ein immer größer werdendes Spannungsfeld zwischen einerseits vertrauensvoller Kooperation und Augenhöhe mit unseren Partnerländern im Global Süden, bei der gemeinsam das Ziel verfolgt wird, allen das Recht auf eine schnelle und breite Digitalisierung zuzugestehen, und andererseits ein Wettkampf um geopolitischen Einfluss, der regulative Eingriffe und klare Strategien Deutschlands und der EU zur Risikobeschränkung braucht. 

Umgang mit Big Tech

Im vorherigen Punkt bereits angerissen spielt für die außenpolitische Dimension einer nachhaltigen Digitalisierung auch die Dominanz von Big Tech eine wichtige Rolle. Es bedarf einer klar abgesteckten deutsch-europäischen digitalen Souveränität in Abgrenzung zu Big Tech. Während dies in Ländern der EU aufgrund teilweise begrenzter Möglichkeiten gegen die Marktmacht der großen Tech Unternehmen bereits ein Problem darstellt, gilt es, kritisch die Abhängigkeiten von Ländern im Globalen Süden zu Big Tech zu prüfen und zu hinterfragen, wie langfristig die digitale Souveränität auf staatlicher Seite zu wahren ist.

Auch die Abhängigkeiten des individuellen Users müssen analysiert werden. Hier müssen Deutschland und die EU die individuelle Datensouveränität international anschlussfähig machen, z. B. durch eine Data Governance Allianz, welche das Individuum in den Mittelpunkt des digitalen Ökosystems stellt. Ein Beispiel für diese potenziellen Abhängigkeiten stellen Googles massive Investitionsprojekte in Afrika dar, wo speziell in afrikanische Start-Ups und KI große Summen fließen.

Über den daraus resultierenden Einfluss sollte frühzeitig aufgeklärt werden und über dessen Beschränkung nachgedacht werden. Gleichzeitig müssen jedoch alternative Finanzierungsmodelle entwickelt werden, um die lokale digitale Ökonomie zu unterstützen. Im Idealfall ist dieses Agieren jedoch nicht eine Frage der Finanzierung, sondern der Erschaffung alternativer Plattformen, die auf open source code basieren, die Datenhoheit dem Individuum geben, und die privatwirtschaftlichen Interessen in den Hintergrund stellen. Nur so kann langfristig die Dominanz von Big Tech aufgebrochen werden. 

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