Kathrin Henneberger und Maik Außendorf im Austausch zum Energiecharta-Vertrag – Diskussion zur grünen Strategie zu Investitionsschutzverträgen

Vergangenen Donnerstag, den 28.04.2022 haben Kathrin Henneberger – Berichterstatterin für den Energiecharta-Vertrag in den Ausschüssen Klimaschutz & Energie und Wirtschaftliche Zusammenarbeit & Entwicklung –  und Maik Außendorf – Berichterstatter für die Handelsverträge im Wirtschaftsausschuss – mit Expert*innen und Akteuren aus Partei und Zivilgesellschaft über den Energiecharta-Vertrag (englisch Energy Charter Treaty, ECT) diskutiert. Die Diskussion fand in Kooperation mit „PowerShift“ statt.

Mit dabei waren:

  • Anna Cavazzini, MdEP Bündis90/Die Grünen, EP-Berichterstatterin zum ECT
  • Lukas Schaugg, wissenschaftlicher Mitarbeiter IISD, Experte für rechtliche Fragen
  • Cornelia Maarfield, leitet die Arbeit zum ECT beim Climate Action Network Europe
  • Fabian Flues, koordiniert die deutsche ECT-Kampagne für PowerShift

Zunächst ein kurzer Überblick über den Energiecharta-Vertrag:

Der Energiecharta-Vertrag wurde im Dezember 1994 in Lissabon unterzeichnet und sollte ursprünglich die Energiesektoren der ehemaligen Sowjetunion in die europäischen und globalen Märkte integrieren. Der rechtsverbindliche Vertrag legt Prinzipen für die internationalen Energiebeziehungen fest. Er trat 1998 in Kraft und hat nach dem Austritt Italiens 2016 noch 53 Mitglieder.

Seit der Unterzeichnung des ECT berufen sich viele Unternehmen bei sogenannten Investor-Staat-Streitbeilegungen (englisch Investor-state dispute settlement, ISDS) auf den Vertrag.

Erklärung ISDS: Ein Streitbeilegungsverfahren, dass ein ausländischer Investor gegen einen Staat, in dem er investiert hat, anstoßen kann, wenn er seine nach internationalem öffentlichem Recht garantierten Rechte verletzt sieht. Dabei steht der Investitionsschutzvertrag über nationalem Recht und die Klagen können komplett geheim stattfinden. Kritisiert wird, dass zuständige Gerichte ihre Urteile oft auf Hypothesen von Laufzeiten und Investitionen stützen und Entschädigungen über ausbleibende zukünftige Gewinne bei der Rechtsprechung üblich sind. Es gibt keine oder nur eingeschränkte Berufungsmöglichkeiten und es gilt die weltweite Durchsetzungsfähigkeit.

Im September 2021 wurde die Energiecharta vom EuGH für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der EU als unwirksam erklärt. Viele Schiedsgerichte, denen damit die Grundlage für ECT-Verfahren genommen wurde, erkennen das Urteil des EuGH jedoch nicht an, sodass die Verfahren weiterlaufen.

Kritik und Reformbestrebungen

Zu Beginn des Austauschs wurde ein Überblick über den Vertrag, seine historische Bedeutung und den Zusammenhang mit dem ISDS gegeben. Anschließend wurden die Kritik am ECT sowie die aktuell angestrebte Reform thematisiert.

Die Kritik an der aktuellen Form des ECT konzentriert sind hauptsächlich auf das ISDS, auf die Unvereinbarkeit mit EU Recht und auf die Fortgeltungsklausel, die besagt, dass Staaten auch nach Austritt aus dem Abkommen noch 20 Jahre auf Grundlage des ECT angeklagt werden können.

Beim ISDS wird besonders kritisiert, dass auch ausbleibende zukünftige Gewinne eingeklagt werden können. Außerdem können Unternehmen, die in fossile Energien investiert haben und durch Gesetze wie den Kohle- oder Atomausstieg eines Landes Verluste machen, Entschädigungen einklagen. Das ECT schützt damit einfach gesagt Atom-,Kohle- und Gaskraftwerke in der EU. Angesichts der dringend notwendigen Energiewende wird es von der Klimagerechtigkeitsbewegung deshalb stark kritisiert.

Eine politische Einigung über die Reform ist für den 24. Juni angesetzt. Bis Ende Mai soll die Positionsfindung in Deutschland abgeschlossen sein. Auch wenn die Notwendigkeit einer Reform unter den Mitgliedern weitesgehend unumstritten ist, zeichnet sich bereits ab, dass sie nur halbherzig angegangen wird. Da am Ende Einstimmigkeit erforderlich ist, rechnen die angehörten Expert*innen mit keiner tiefgreifenden Reformierung.

Die bisherigen Vorschläge gehen weder die EU-Rechtskonformität, noch die Fortgeltungsklausel an. Der tiefgreifendste Vorschlag der EU sieht vor, dass Investitionen in fossile Energieträger noch 10 Jahre nach Reform geschützt sind und weiterhin Investitionen in Gas umfasst werden.

Dabei wäre es wichtig, dass der ISDS Mechanismus EU-Rechtskonform wird und die Prinzipien des ECT mit dem Pariser Klimaschutzvertrag vereinbar sind.

Die Alternative: ein Austritt aus dem ECT

Der Austritt aus dem ECT ist grundsätzlich jederzeit möglich und wird ein Jahr nach Erklärung des Austritts gültig. Allerdings sorgt die Fortgeltungsklausel dafür, dass ehemalige Mitglieder noch lange nach dem Austritt an den Vertrag gebunden sind und von Investoren angeklagt werden können.

Herr Schaugg referierte entlang eines Rechtsgutachtens, warum es nach Ansicht der anwesenden Expert*innen rechtlich zulässig und möglich wäre am Idealfall im Verbund weiterer EU Staaten die Mitgliedschaft im ECT ohne Fortgeltungsklausel zu beenden

Im Gegensatz zur Reformierung würde ein Austritt schnell für Klarheit sorgen und weitere Schiedsverfahren würden verhindert. Bisher ist allerdings nur Italien aus dem Vertrag ausgetreten. Deutschland könnte somit Vorreiter werden und andere Mitglieder inspirieren. Interessant ist dabei auch, wie sich die EU-Kommission positionieren wird und wie stark die Klimabewegung die Entscheidungen in den einzelnen Mitgliedsländern beeinflusst.

Abschlussstatements Maik Außendorf und Kathrin Henneberger

Katrin Henneberger betonte abschließend, dass der ECT wichtige Maßnahmen gegen den Klimawandel ausbremse und die Klimagerechtigkeitsbewegung am ECT scheitere. Dabei müsse internationaler Klimaschutz eigentlich vorangetrieben werden. Angesichts dessen, dass die Einstimmigkeit für eine tiefgreifende Reform des ECT so gut wie unmöglich erscheint, spricht sich Maik Außendorf für einen Rücktritt von dem Vertrag aus. Besonders eine Koalition der Willigen, also einen gemeinsamen Rücktritt mehrerer EU-Länder, halte er für sinnvoll. Diese Option muss nach kritischer Bewertung der, im Koalitionsvertrag als notwendig festgehaltenen Reform, dringend politisch debattiert werden.

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